Wir spüren es im Supermarkt, an der Tankstelle und im Restaurant. Wir alle nehmen die Inflation wahr, doch Armutsgefährdete werden regelrecht von ihr überrollt. Steigende Kosten werden für Menschen mit wenig Einkommen immer mehr zur Frage der Existenz. Die Rekordinflation sorgt für steigende Lebenshaltungskosten. Besonders gravierend ist das für armutsbetroffene Menschen. Die Preislawine trifft sie mit voller Wucht. Täglich, denn die hohen Preise schlagen bei jeder Rechnung zu.
Der durchschnittliche wöchentliche Einkauf ist im Vergleich zum Vorjahr um knapp 19 Prozent teurer geworden. Das heißt: Menschen, die ohnehin im Supermarkt sehr genau rechnen müssen, ob sich die Kaffeepackung am Ende des Monats noch ausgeht – diese Menschen können sich das Alltägliche schlichtweg nicht mehr leisten. Die Situation stellt armutsbetroffene Menschen und auch jene mit geringen Einkommen vor unüberwindbare Herausforderungen. Sie zwingt sie, massive Abstriche zu machen – bei Grundbedürfnissen wie Essen, Heizen oder bei der Unterstützung und Förderung ihrer Kinder.
Caritas-Direktorin Elisabeth Rathgeb sieht hier einen klaren Auftrag: „Wir müssen dafür sorgen, dass Kühlschränke nicht leer, Heizkörper nicht kalt und Rechnungen nicht unbezahlt bleiben“. Dabei ist es ihr ein besonderes Anliegen, Hemmschwellen so gut es geht aus dem Weg zu räumen. „Der Gang zur Beratungsstelle ist oft mit Scham verbunden – das soll und muss nicht so sein. Neu haben wir die Caritas-Online-Beratung eingeführt: Damit versuchen wir, auf die individuellen Bedürfnisse aller Betroffenen bestmöglich einzugehen und jede*n dort abzuholen, wo sie oder er steht.“
Einkommen reicht nicht aus
„Die Teuerung trifft zunehmend auch Menschen aus der Mitte der Gesellschaft“, bestätigt Andreas Exenberger. Der Armutsforscher hat im Oktober die umfassende Studie „Armutsbetroffenheit und COVID-19 in Tirol“ herausgegeben. Laut Exenberger hat die Inflation weitreichende Auswirkungen: „Vor der Pandemie waren 25 Prozent der Haushalte in der Position, dass ihre Ausgaben die Einnahmen überstiegen. Unter Berücksichtigung der aktuellen Inflationsdynamik muss davon ausgegangen werden, dass mittlerweile 35 Prozent der Haushalte in Österreich nicht mehr mit ihrem Einkommen auskommen“. Exenberger bezieht sich dabei auf eine aktuelle Studie des Fiskalrats. Er rechnet damit, dass „eine anhaltende Inflation weitere Haushalte in Schwierigkeiten bringen wird“.
Besonders gefährdet sind Personen mit niedriger Bildung/ Qualifikation, Ein-Eltern Haushalte und Mehrkind-Familien, Mindestpensionist*innen sowie Arbeitslose. Das Problem der Armutsgefährdung erfasst immer mehr den Mittelstand. Für die betroffenen Menschen bedeutet das zum Beispiel konkret: Es ist nicht möglich, unerwartete Ausgaben in der Höhe von 1.200 Euro zu begleichen oder Freunde zum Essen einzuladen. Die Folgen sind neben den direkten finanziellen Problemen auch Benachteiligungen im Zusammenleben mit anderen Menschen, die zu Ausgrenzung oder im schlimmsten Fall zur Vereinsamung führen. Denn Ausgaben, bei welchen Armutsbetroffene häufig sparen, sind jene, die Teilhabe ermöglichen, wie Bildung, Musikschule, Vereine, Freizeit. Besonders Kinder und Jugendliche in armutsgefährdeten Familien sind von dieser fehlenden Möglichkeit der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben betroffen.
40 Prozent mehr Beratungen in der Caritas Tirol
Unterstützung für Armuts-Betroffene gibt es bei der Sozialberatung der Caritas. Sie hilft bei Anträgen und dem Ausfüllen von Formularen und in bestimmten Fällen auch mit finanziellen Direktleistungen aus Not-Töpfen. Die meisten Anfragen beziehen sich jetzt verstärkt auf Mietrückstände und die steigenden Kosten für Lebensmittel, die das ohnehin geringe Budget bei Weitem überschreiten.
Dass immer mehr Personen von Armut betroffen oder gefährdet sind, legt auch ein deutlicher Anstieg der Beratungen nahe: von 2019 auf 2022 (Vergleichszeitraum September des Vorjahres bis Oktober) gab es um 40 Prozent mehr Beratungen bei der Caritas Tirol. Mit Sorge erwartet die Caritas eine weitere große Welle an Hilfsanfragen im Dezember/Jänner, wenn die Betriebskostennachzahlungen für 2022 und die Strompreis-Akontozahlungen für 2023 fällig werden.
Rathgeb betont daher: „Die Unterstützungsmaßnahmen von Seiten der Bundesregierung wie Klimabonus und Strompreiszuschuss sind enorm wichtig, aber deren Treffsicherheit muss deutlich erhöht werden. Es braucht eine nachhaltige Absicherung armutsgefährdeter Menschen.“
„Um auf lokaler Ebene weiterhin zielgerichtet arbeiten zu können, freue ich mich auf die Zusammenarbeit mit der neuen Landesregierung und sehe im Regierungsprogramm schon einige vielversprechende Vorhaben im Sozialbereich, wie beispielsweise die Beibehaltung der Mindestsicherung, die angekündigten Indexanpassungen, 3-Jahres-Verträge für Sozialeinrichtungen, die Stärkung der Familienhilfe und die Unterstützung für NEET’s-Jugendliche“, so Rathgeb.
Der erste Klick zur Hilfe: Caritas Wegweiser
Um die Hilfestellung besonders für neu Betroffene niederschwellig zu gestalten, hat die Caritas einen „Online Caritas Wegweiser“ entwickelt: www.caritas-wegweiser.at. Er schafft Orientierung für Hilfesuchende für Anliegen unterschiedlicher Art – etwa bei Geldnot oder in den Bereichen Wohnen, Pflege, Sucht usw. Am PC, Handy oder Tablet beantworten Betroffene mit wenigen Klicks einige Fragen zu ihrem Problem. Der Caritas Wegweiser führt dann je nach Region zu passenden Informationen oder Hilfsangeboten, zur richtigen Anlaufstelle oder Ansprechperson oder zur Online-Beratung in den Sozialberatungsstellen weiter.
Damit können sich Betroffene schnell, einfach und anonym an eine*einen Caritas-Berater*in wenden: Je nach Angebot können sie per E-Mail und Sofort-Chat Kontakt aufnehmen oder sich online einen Termin für ein Beratungsgespräch vereinbaren – per Videochat, Telefon oder persönlich.